"Seitdem ich damals mit euch vor 25 Jahren in Griechenland in dieser Aufstellung stand, mir dann so schlecht wurde und das einen wichtigen, guten Prozess für alle ausgelöst hat, interessiere ich mich für diese Arbeit. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dazu mehr zu erfahren", schreibt uns vor kurzem eine Kollegin, die sich für den Lehrzyklus Systemische Aufstellung und Beratung angemeldet hat.
Ich erzähle das jetzt nicht für Werbezwecke, sondern weil es immer wieder bemerkenswert und berührend ist, welche tiefe und nachhaltige Wirkung Aufstellungen entfalten können. Eingebettet in naturtherapeutische Gruppenerfahrung umso mehr. Viele von euch, die hier mitlesen, könnten vermutlich eigene Geschichten zu erzählen.
Seit in den 80iger des letzten Jahrhunderts Aufstellungen wie eine grosse mächtige Welle zuerst den deutschsprachigen Raum und dann viele Teile der Welt in Beratung und Therapie erfasst haben, stellt sich die Frage: Wie ist das möglich, dass Menschen Dinge, Bewegungen, Gefühle und Ereignisse wahrnehmen können, von denen sie nichts wissen können und die dennoch für bestimmte Fragen und Konstellationen treffend und hilfreich sind?
Manche erklären sich das über das Anschliessen an ein "Unbewusstes oder Gruppenunbewusstes" (Sigmund Freud, C.G. Jung), "Wissendes Feld" (Albrecht Mahr) und "Morphische Resonanz" (Rupert Sheldrake), andere plädieren für die Fähigkeit einer "Repräsentierenden Wahrnehmung" (Matthias Varga von Kibed). Ein wichtiges Zuspiel ist auch die These der "Spiegelneuronen" (Joachim Bauer) oder das Feld von "Embodiment und Somatischen Markern." (Anton Damasio). (1)
In all diesen Thesen und Begriffen liegt erhellendes Potential und die Auseinandersetzung damit lohnt sich. Unser Ansatz, der immer auch einen Blick in die lange Zeit der Erd- und Menschheitsgeschichte und ihrer Erinnerungspraxis empfiehlt, nimmt noch einen Erklärungsfaden auf: Das Spiel durch Verkörperung, die mimetische Wahrnehmung, Kooperation und Kommunikation gehören zu unserer genetischen Grundausstattung. Das Mit- und Durcherleben von Geschichten (anderer), das Empfinden von (Un-) Ordnung und (Un-) Sicherheit in Räumen, das Erkennen von konstellativen Zusammenhängen, das Lesen von Zeichen und die suchende Bewegung im Raum ist urmenschlich - es gehört zum Archiv unserer Spezies und ist Teil des Zusammenlebens auf dem Planeten Erde. Es ist eine durch und durch terrestrische, atmosphärische Kompetenz, die notabene auch alle anders-als-menschlichen Spezies, Stoffe, Elemente durchfliesst.
Die moderne Psychologie und Psychotherapie hat für den irdischen Kontext, in die menschliche Systeme immer auch eingebettet sind, wenig Sprache und Aufmerksamkeit entwickelt - so auch die Aufstellungsarbeit. Sie wurde und wird auch heute primär als eine Methode gesehen, die auf menschliche Systeme - sei es Individuen, Familien oder Organisationen - Einfluss haben kann. Und das ist auch verständlich: ist doch die Aufstellungsarbeit - selbst unter rein menschlichen Konstellationen - schon komplex genug.
Als Stammbaum dieser Methode gelten im Vorfeld das Psychodrama nach Jacob Moreno und die Entwicklungsorientierte Familientherapie nach Virginia Satir. Dann folgen die eigentlichen Aufstellungsschulen: die ursprünglich primärtherapeutisch orientierte Schule nach Bert Hellinger (2); die hypnotherapeutisch-philosophisch fundierte Schule der Systemischen Strukturaufstellungen nach Varga von Kibéd (3) und die systemisch-dialogische Aufstellung der Grazer Schule (Baxa, Blumenstein, Essen). (4)
Ich darf mich glücklich schätzen von all diesen Schulen und Menschen gelernt zu haben, in besonders intensiver Weise mit den Kolleg*innen aus Graz. Denn und das ist wesentlich: dass wir Menschen über erweiterte Wahrnehmungsfähigkeiten verfügen, steht ausser Zweifel; dass wir über Aufstellungen markante Informationen, Einsichten und Erfahrungen generieren können ist erwiesen. Jedoch - was und wie dann mit diesen Informationen umgegangen wird, wozu sie gebraucht, und welche Schritte gefördert werden, das ist das Handwerk, die Kunst von Aufsteller*innen und ihrer Schule.
Genau genommen ist es auch der Aufstellungsarbeit zu verdanken, dass wir vor über 20 Jahren begonnen haben, die Systemische Naturtherapie zu entwickeln. In zwei Lehrgängen zwischen 2002 und 2005 haben wir in Kooperation mit Guni Baxa und Christine Blumenstein Aufstellungsarbeit und Naturerfahrung kombiniert. Dabei hat sich gezeigt, dass allein schon die Erfahrungen draussen und mit den Dialogen, die dabei entstehen, tiefe, heilsame Impulse und Prozesse möglich sind - auch ohne Aufstellungen. Man könnte sagen die Naturtherapie hat sich in den Raum gestellt, so wie ein vergessenes Element oder eine ausgeschlossene Person erst seinen Platz bekommen muss, ehe eine fliessende Ordnung spürbar wird. Und am deutlichsten wurde das - wie so vieles - in Griechenland.
Heute - 20 Jahre später - haben SNT und Naturdialog Coaching einen guten Platz und die Aufstellungsarbeit natürlich auch. Beides praktizieren wir und geben wir herzhaft freudig weiter.
Und dass in der ökosystemischen Aufstellungsschule das, was wir Natur nennen, bedeutsam mitspricht, und im Natur-Dialog auch Aufstellungen wesentliche Rollen spielen können, muss ich wohl nicht extra erwähnen :-).
Ich freue mich auf weiteres Lernen in diesem weiten Feld und darauf, vielleicht manche von euch dabei (wieder) zu treffen.
Astrid Habiba Kreszmeier
Quellen:
(1) Eine kompakte Übersicht mit weiterführenden Links finden sich zu den erwähnten Thesen unter dem Wikipedia Artikel zum Stichwort Repräsentierende Wahrnehmung.
(2) Gunthard Weber, Zweierlei Glück, Das Familien Stellen Bert Hellingers, Carl-Auer
(3) Insa Sparrer, Matthias Varga von Kibéd, Ganz im Gegenteil, Carl-Auer
(4) Guni Baxa, Christine Essen, Habiba Kreszmeier, Verkörperungen, Carl-Auer
Die sympoi Praxispost erscheint 3-4 jährlich an einen ausgewählten Email-Verteiler. Jede Ausgabe widmet sich einem bestimmten Fachbezug oder einem Praxisfeld. Von dort ausgehend, erkunden wir ökosystemische Anwendungserfahrungen, Fragen und Theoriebezüge. Hier zum nachlesen und jederzeit zu abonieren: institut@sympoi.ch
Im liebevollen Gespräch zwischen Habiba Kreszmeier, Dorothea Kurteu und Guni Leila Baxa erzählen sich nicht nur geteiltes Leben, Geschichte von Psychotherapie und Aufstellungsarbeit, sondern auch Vertrauen und Zuversicht.
und eine Ausrichtung, die den Raum neugierig macht auf einen Lebensumschwung.
Konstanze Thomas und Sinha Weninger im Gespräch über das Modul Meer und Mensch
und seinen Aktanten eigenlebendige Mitsprache und fordert gleichzeitig ökosystemische Wahrnehmung. Hinweise und Fragen, die sich dabei stellen und ein schönes Praxisbeispiel erzählt dieser Fachtext.
Aufstellen in der Natur, Astrid Habiba Kreszmeier im Buch "Systemische Naturtherapie"
"Er erzählt, wie er abends auf einem Felsen am Meer sass und sie - die Mairmaid - singen, hörte, und davon seltsam ergriffen wurde."
Ein feministisch-mythologischer Blogbeitrag von Hans-Peter Hufenus über die Kräfte des Meeres