Heute Morgen, 4h23

Was für ein wunderschöner, aufregender, lebendiger Frühlingsmorgen in dieser verrückten, seltsamen Zeit - noch mal richtig kalt - raureifig, zart, klar, still, rosa….ich bin schon ein paar Tage hier auf unserm platz zwischen Havel, Wald und Feldern unterwegs und lausche den Vogelstimmen und freue mich über jede neue Entdeckung...

Heute morgen - 4.23 uhr (also eigentlich 3.23 uhr) - ich kann nicht mehr schlafen, also stehe ich auf, um die ersten stimmen des Tages zu hören - am Feuerchen, warm eingepackt lausche ich in die Nacht - es ist noch still - und das erste, was ich höre sind die Enten, später Gänse, ein Blesshuhn….Krähen und dann ganz zart - ein Rotkehlchen gegen halb fünf, dann ganz dominant und lauter ein Rhythmiker - der Kleiber - den höre ich momentan den ganzen Tag….dann die aufgeregte Feldlerche, die mehrmals am Tag überm Feld steht und vor sich hin flattert und vorn im großen Ahorn die Singdrossel…ich laufe eine kleine Runde über den Platz und direkt neben mir fliegt unsere Waldohreule - ganz nah an mir vorbei, sie war die letzten Wochen jede Nacht zu hören mit ihrem dumpfen uh, uh, uh ….einige Zeit später dann erst unsere Gudruns - die Ringeltauben…

Jetzt scheint die Sonne und ich trinke einen ersten Kaffee vor meinem Häusschen….

Unser Leben hier am Eichelkamp ist beschaulich und friedlich - ich bin eingebettet in eine kleine, überschaubare Gemeinschaft  - ich habe zu essen, einen sicheren, schönen, naturnahen, einfachen Platz zum Wohnen, unser Alltag war schon lange nicht mehr so harmonisch, kooperativ, zusammen, mit Zeit …wir kochen, machen Holz und unseren Gemüsegarten, spielen, machen Musik, backen, helfen uns gegenseitig, sitzen am Feuer, reden, erzählen Geschichten, schauen auf die Kinder, telefonieren mit unseren Familien ….ja auch ich sorge mich zwischendurch um meine Familie, meine Eltern & Großeltern meiner Kinder, um mein Enkelkind, um meine Schwägerin & Familie in Botswana, um meine älteren Freunde und Freundinnen - aber was nützt die Sorge - ich schwenke um auf Vertrauen und unsere familiäre Widerstandskraft!!

….und dann denke ich an die Menschen an anderen Orten der Welt  - wir malen hier seit zwei Wochen Transparente für die Menschen an den EU-Außengrenzen - weil wir nicht mehr demonstrieren können und nicht Ruhe geben wollen, bevor sich etwas tut, nähen Mundschutz für soziale Einrichtungen und Krankenhäuser  ….oh, da ist sie wieder die Welt … wenn ich in diese Welt schaue, scheint alles aus den gewohnten Bahnen zu sein, schon lange angekündigt und doch überraschend  - eine autopoietische oder sympoietische Irritation?? - viele Fragen und Gedanken reisen durch meinen Geist - heute morgen habe ich über das Wort Krise nachgedacht und den Satz von Max Frisch: “Die Krise ist ein produktiver Zustand, wenn wir ihr den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.” und über die Fähigkeit von Resilienz - Optimismus und Akzeptanz…Lösungsorientierung und die Bereitschaft, Verantwortung übernehmen, Netzwerke aufbauen, Zukunft planen, Improvisieren, Gelassenheit entwickeln und ‚richtige‘ Entscheidungen treffen“

Welche/r Geschichte/ Mythos wird gerade erzählt? ist es eine Krise, ein Übergang, eine Chance ….oder eine Katastrophe? Für wen ist es eine Katastrophe? Für wen eine Chance? Was ist gerade zu tun! Welche Stimmen sollten sprechen und gehört werden?

…was mich in diesen Tagen immer wieder beschäftigt ist die Frage nach einem einfachen und gutem Leben in der heutigen Zeit - gestern hat eine junge Frau von uns gesagt - ist doch ganz einfach: alle haben zu essen, einen sicheren Platz zum Wohnen, sauberes Wasser - Geld spielt keine Rolle - Gemeinschaft, Bildung….ich würde noch hinzufügen: die Nähe zur Natur...

und dazu kommt mir dieses Lied in den Sinn - ein Lied aus meiner Kindheit:

Der einfache Frieden

Wenn ein Gras wächst, wo nah ein Haus steht, und vom Schornstein steigt der Rauch, soll'n die Leute beieinander sitzen, vor sich Brot und Ruhe auch, und Ruhe auch.

Das ist der einfache Frieden, den schätze nicht gering.
Es ist um den einfachen Frieden seit Tausenden von Jahren ein beschwerlich Ding.

Wo ein Mann ist, soll eine Frau sein, dass da eins das andre wärmt, solln sich lieben und solln sich streiten, von der Angst nicht abgehärmt, nicht abgehärmt.

Das ist der einfache Frieden, den schätze nicht gering.
Es ist um den einfachen Frieden seit Tausenden von Jahren ein beschwerlich Ding.

Wo ein Ball liegt, soll nah ein Kind spiel’n, das zwei gute Eltern hat, und soll alle Aussicht haben,ob im Land, ob in der Stadt, ob in der Stadt.

Das ist der einfache Frieden, den schätze nicht gering.
Es ist um den einfachen Frieden seit Tausenden von Jahren ein beschwerlich Ding.

Wo ein Leben war, da soll ein Tod sein unter Tränen still ins Grab, wo der Nachfahr manchmal hingeht zu dem Menschen, den es gab, den es gab.

Das ist der einfache Frieden, den schätze nicht gering.
Es ist um den einfachen Frieden seit Tausenden von Jahren ein beschwerlich Ding.

Wo die Welt war – da soll die Welt sein. Und die Erde mitten drin. Dass ich selber auch ein Ahne ungeborener Menschen bin, Menschen bin.

Das ist der einfache Frieden, den schätze nicht gering.
Es ist um den einfachen Frieden seit Tausenden von Jahren ein beschwerlich Ding.

 & vom eichelkamp ... ich bekomme gerade noch mal eine ganz neue Beziehung zu unserem Platz & die Menschen hier und dem Namen unseres Platzes