Regnet es?

Kein Traum, ganz nah, wie gestern: Wir stehen in der Abenddämmerung auf einer Wiese am Rhein, nahe Bonn, hunderte Studenten sind da, wir feiern diesen lauen Frühlingsabend; wir sind jung, gut drauf, voller Elan.

Dunkle Wolken ziehen auf, ein ungutes Gefühl geht durch die Menge: Was, wenn diese Wolken strahlen? Die Katastrophe von Tschernobyl ist erst wenige Wochen her, - wir wissen, dass dieser Regen kontaminiert sein kann. Wir fühlen uns schutzlos, nackt, am falschen Ort. Die Stimmung kippt: Betroffen verlassen wir die Wiesen und suchen Schutz in der Stadt.

Der Regen? Er wird zum Boten unsichtbaren Grauens. So hat er das sicher nicht gewollt.

Der Abend stärkt die Zweifel: Wo sind die Grenzen der Technik? Was ist sinnvoll, welche Risiken vertretbar? Wie grob und brüchig ist die Machbarkeit, in die wir als junge Ingenieure eingeweiht werden... Aber wenn sich alle an die Regeln halten, wird‘s schon gut kommen, ist doch so, oder?

Der Regen? Er verteilt unseren Müll, klagt an und wird sauer: Waldsterben - der saure Regen ist Schuld - und Technik wird die Probleme lösen. Katalysatoren für Autos, Entschwefelung für Kraftwerke – voilá. Geht doch.

Fukushima zeigt uns, dass dem nicht so ist. Es geht um mehr als formalisierte wenn-dann Bedingungen, definitiv.

Aber worum geht es denn, verdammt noch mal? Wir taufen es Nachhaltigkeit – geben jedem Mensch ein faires Stückchen Wasser, Erde, Luft und Müll, auf dass er sauber haushalte. Doppelt blind: Wir verharren in dem Glauben, die Erde sei des Menschen Gut. Kommen nicht raus aus  dem Größenwahn, der sich darin zeigt. Merken nicht, dass wir jede Grenze verschieben, sobald wir trügerisch meinen, sie im Griff zu haben.

Kein Traum, sehr nah, jeden Tag: Die Erde ächzt und schlingert – hält die Tränen zurück oder schüttet sie aus, kübelweise, heftig: Der Klimawandel ist real, unsere Schutzreflexe sind größer. Wir bauen Mauern – gegen den Regen; und gegen die, die Schutz und Regen suchen - und lassen sie auf dem Mittelmeer im Regen stehen.

Foto:
Wolkenformation über dem Peloponnes