Ich schreibe an einem Buch, das heisst mal viel sitzen. Es heisst aber auch viel verknüpfen, viel erinnern, viel entdecken. So oder so ist es eine komplexe Sache und weil man nur in Gesellschaft gut denken kann, habe ich KollegInnen und FreundInnen eingeladen mit mir für neun Monate eine Bloggemeinschaft zu bilden, die zu "systemisch-ökologischen" Perspektiven vielstimmig Impulse bringt. Dieser Blog heisst "wildes weben" und ist bei Carl-Auer ab dem 4.12.2020 online.
Zum Warmwerden und miteinander Vorkochen gingen die RedaktorInnen ein paar Fragen nach, die auch mich ganz zu Beginn des Schreibens begleitet haben. Was dabei rausgekommen ist, das ist in den einzelnen Posts in dieser Rubrik zu lesen. So lernt man sich kennen;-)
Und hier die ersten Zeilen zu den Fragen: Regnet es? Wo bist du?
Nach vielen sonnigen Tagen regnet es. Das mag ein etwas seltsamer Beginn für eine Art Fachbuch sein, dennoch ist er genau richtig. Weil es eben von grosser Bedeutung ist, dass es regnet. Früher kamen mir eher abfällige Gedanken, wenn andere übers Wetter redeten. Sie sollten doch mit dem Smalltalk aufhören und über etwas Wichtigeres sprechen. Über das, was sie wirklich beschäftigt, was ihnen wirklich wichtig ist. Und bestimmt habe ich mich auch über mich geärgert, wenn mir nichts Besseres eingefallen ist, als zu sagen: Regnet es bei euch auch?
Über das, was uns umgibt, also unter anderem und ganz wesentlich das Wetter, auszutauschen, war nahezu ein intellektuelles Armutszeichen.
Das sehe ich heute nicht mehr so. Im Gegenteil, ich halte es für ausserordentlich wichtig, dass wir wieder mehr wahrnehmen, ernstnehmen und mitteilen, was für Witterungen wir gerade erleben. Welche ganz sinnlich wahrnehmbaren Atmosphären, welche elementaren Qualitäten mit uns sind. Es scheint mir für unsere körperliche, psychische und soziale Gesundheit oder anders für unser gedeihliches Zusammenleben hier auf Erden wesentlich, dass wir nicht nur über unser smartes Wetter-App sondern auch hautnah bemerken, dass es draussen heiss, nass, trocken, windig, nebelig, sonnig ist und dass wir körperlich begreifen, dass das wesentlich ist. Nicht nur, aber auch für Menschen.
Nach vielen sonnigen Tagen regnet es. Ich sitze im Dachzimmer eines Hauses in den Südhängen des ostschweizerischen Rheintales. Der bräunlich-graue Wolkenhimmel und ziehende Nebel lassen mich zwar die Ebene sehen, die der Rhein dereinst mäandernd mitgestaltet hat, jedoch die prächtigen Bergketten auf der anderen Seite bleiben gerade verhüllt. Das macht gar nichts. Weil ich weiss, dass es sie gibt. So oft haben sie sich mir gezeigt (und ich mich ihnen), dass ihre Gegenwart in meinem räumlichen Empfinden lebendig ist. Sie halten den Raum und mich in ihm, so scheint es mir, so fühle ich es. Und ich bin ihnen so dankbar. Dankbar bin ich auch diesen Hügeln und Hängen, den Nasen und Kuppen, ganz besonders den sieben Birken, dem Holunder und der grossen, alten Linde am Hang vor unserem Fenster. Ich will es jetzt gleich zu Beginn nicht übertreiben mit meinen Liebesbekundungen an diese Landschaft, mit der ich lebe, das würde kein Ende nehmen. Ich würde dann ja auch von den menschlichen Nachbarn erzählen müssen, den Bauern und Bäuerinnen, den Handwerkern und Kassiererinnen, den Physiotherapeuten und Versicherungsmaklern. Und auch damit wäre es nicht getan, ich müsste nämlich auch den Strassen, die hier im Hang angelegt sind, danken und unserem Auto und dem Fahrrad und dem schicken Airbook und meinem schier unverwüstlichen Telefon und den vielen Dingen, die mit mir leben. Keine Sorge, soweit wird es nicht kommen, aber dennoch ist mir wichtig zu erzählen, dass ich mich als Schreibende an einem Ort befinde. An einem ganz wirklichen Ort, einer geografischen, biologischen und freilich auch kulturellen Situation. Und dass dieser Ort mitsamt seinen wilden Welten und menschengemachten Dingen mitspricht, mitschreibt. Nichts geschieht ohne den Ort, an dem wir gerade sind.
Alle folgenden Überlegungen und Geschichten möchten unter anderem daran erinnern, dass wir Menschen Teil einer Welt sind, die lebt und pulsiert. Dass es einen Unterschied macht, ob wir und unsere menschlichen Mit-Lebenden - Partner, Kinder, Geschwister, Freunde, Kollegen, Geliebte, Vorgesetzte, Klienten - oder wer auch immer, also dass es einen Unterschied macht, wenn wir nicht nur wahrnehmen, dass es uns gibt, sondern auch wo es uns gibt. Und vor allem auch wie wir mit diesem Wo in Beziehung sind und mit ihm kommunizieren. Der Regen trommelt kräftig auf die Dachfenster, schön.
Astrid Habiba Kreszmeier, Gastgeberin, Systemische Pychotherapeutin und Diplompädagogin, Natur-Dialog Aktivistin, Schreiberin
Foto:
Hirtenofen, mit Moos bedeckt