Ein sicherer Ort

Das trockene Tannenreisig knistert und die frisch entzündete Flamme steigt flackernd in die Höhe. Es ist die erste kraftvolle Flamme die Gewissheit gibt, dass das schön geschichtete Feuer ohne weiteres Zutun abbrennen kann. «Etwa eine Stunde sollte es brennen», sagten wir uns, als die vielen Hände Schicht um Schicht die gesammelten Äste sorgfältig zu einem schön anzusehenden «Holzgeschichte» anordneten. Nun sitzen wir am Feuer und unsere Augen sind auf die langsam wachsende Flamme gerichtet.

Ein Feuerkreisdialog ist angesagt und die ums Feuer versammelten Menschen erzählen aus ihrem Führungsalltag. «In welchen Führungssituationen bist Du ganz besonders herausgefordert». Mit dieser Frage habe ich die Gesprächsrunde eröffnet. Es entsteht ein dichter Dialograum. Jemand spricht, die anderen lauschen. Es wird geseufzt, gelacht, ein paar Tränen fliessen und ich beobachte, wie sich die zunächst angespannten Körper in der gehaltenen Atmosphäre langsam entspannen.

Vor einem Monat berichtete mir die Auftraggeberin von der prekären Situation in der Organisation. Das Vertrauen in die Führung ist erschüttert und die Führungspersonen stehen unter massivem Druck. Es herrscht eine grosse Verunsicherung und die Räume für vertrauensvolle Gespräche sind rar geworden. Beim Zuhören und Nachfragen, um meinen Auftrag gut zu klären, kam mir immer wieder das Feuer in den Sinn. Viele persönliche Erfahrungen rund ums Feuer entwickelten die Gewissheit, dass dieser Raum, wenn er sorgfältig geöffnet und gehütet ist, ein geschützter «Safe Space» sein kann.

Kein Wunder, das gehütete Feuer hat uns Menschen über hunderttausende von Jahren beheimatet. Geschützt vor Kälte und den Tieren, die dem Menschen gefährlich werden können. Wenn ich in die Runde blicke und sehe, wie alle Augenpaare in das mittlerweile eine wohlige Wärme ausstrahlende Feuer schauen, wird klar, dass diese Sehnsucht nach einem geschützten Platz am Feuer für gutes Menschsein wesentlich und tief in unseren Genen abgespeichert ist. Im Naturdialog Coaching sprechen wir vom «tiefen Erinnern». Eine uns Menschen innewohnende Fähigkeit, uns an eine tiefe Erinnerungsschicht anzuschliessen. Verbindung aufzunehmen in die grossen Zeiträume vor unserer Zivilisation, in denen wir als Gemeinschaften rund um das Feuer gelebt und uns entwickelt haben. In der konkreten Naturerfahrung, wie hier grad jetzt am Feuer, können sich Tore öffnen und gekappte, erschütterte Verbindungen in so etwas wie ein «menschliches Urvertrauen» wieder erneuern und vertiefen.

Es geht heute in dieser Gruppe weniger um kluge Lösungen zu entwickeln oder Entscheidungen zu fällen. Es geht vielmehr um diese Erfahrung des sicheren Ortes und die Möglichkeit schwierige, belastende Themen auszusprechen und wieder Boden unter die Füsse zu bekommen. Aufatmen, Zuversicht gewinnen, nächste Schritte gehen. Mittlerweile ist das Feuer runtergebrannt. In der langsam einsetzenden Abenddämmerung bläst der Bergwind sanft in die wärmende, rote Glut und lässt die letzten kleinen Flammen tanzen. Die Menschen rücken an der wärmenden Glut näher zusammen.

«Auch wenn dieses archaische Archiv unter den weniger harmonischen Ereignissen und Dynamiken der letzten Jahrtausende verschüttet scheint, nahezu vergessen, unvorstellbar oder auch naiv, illusorisch und utopisch anmutend, so ist es dennoch da, zwischen uns. Es flüstert uns auf unterschiedlichen Kanälen zu: Wir Menschen sind liebevolle, freundliche, vergnügte Wesen und würden auch gerne wieder so leben.»

Astrid Habiba Kreszmeier, Natur-Dialoge, S. 69