Vorgestern wurde ich vom Büro angerufen. Es ist ein Herbizidschaden in einem Weingarten ist passiert. Eine dringende Blattprobennahme fürs Labor wäre zu machen. So machte ich mich spätnachmittags noch auf den Weg und als ich ankam sah ich schon den Lieferwagen wo groß oben stand: Bio-Weine mit Frauenpower. Ein Mutter-Tochter Betrieb - ein Weinbau-Matriachat sozusagen. Die Beziehung zwischen den beiden wirkte entspannt kollegial wo nach ihren Ausführungen jede nach ihrer persönlichen Qualität und Stärke sich am jeweiligen Betriebsteil einbringt. So eine spürbare Harmonie zwischen den Generationen im betrieblichen Kontext findet man selten. Die Mutter fragte durch ihre bunte, selbstgenähte Maske ob wir gleich in den Weingarten fahren. Aus dem Akt kannte ich schon ihre Vorsitiuation. Ihre Weinberge sind - wie eine Insel - umringt von den weitläufigen konventionell bewirtschafteten Ackerflächen eines adeligen Großgrundbesitzers. Herbizidschäden durch Windabdrift gab schon mehrfach in der Vergangenheit. Ihre anerkannten Bioweinflächen schrumpfen zusehends. Nach Kontamination mit verbotenen Betriebsmitteln dauert es 3 Jahre bis der auf dieser Fläche geerntete Wein wieder als Biowein deklariert werden darf.
Nach der Begehung des Weingartens war klar - hier treffen zwei verschiedene Welten aufeinander. Hier der Weingarten mit seinen bunt-vielfältigen Artenmix der humusaufbauenden Begrünungsmischung und dort der absolut beikrautbefreite nackte Boden wo ausschließlich die Hauptkultur (Ölsonnenblumen in diesen Fall) stand - in Reih in Glied standen wie Zinnsoldaten. Eine solche Perfektion von Geradlinigkeit erreicht man nur durch die Errungenschaften digitaler Hilfsmittel (GPS). Die Digitalisierung der Landwirtschaft ist im vollen Gange. ISOBUS-Systeme auf neuen Traktoren sind praktisch Standard. Solche Terminals speisen Unmengen von Daten in Datenbanken ein - somit kann alles berechnet, dokumentiert, kontrolliert und gesteuert werden. Im Kampf um immer niedrigere Deckungsbeiträge eine schon kriegsentscheidende Waffe - Precision Farming.
Der Fehler mit der Herbizidabdrift war sicher menschlicher Natur - dem tschechischen Arbeiter - der mit dieser digitalen Technik nicht präzise genug umzugehen wusste. Der wird wohl auch wegdigitalisiert werden müssen, wenn einmal 5G bereit steht.
Ich begann mit der genau genormten Prozedur der Blattprobennahme. Labortechnisch zertifiziertes Probennahmesackerl Nr. 1 und Probennahmesackerl Nr. 2 für das Rückstellmuster (sozusagen die Datensicherungskopie) in der linken Hand halten und Blätter zupfen mit der rechten Hand. Vom selben Weinstock immer gleich viel Blätter ins erste Sackerl wie ins zweite Sackerl. Exakt 100 g Weinblätter - was enorm viel ist. Einweghandschuhe nach jeder Probeziehung wechseln um eine Kontamination von der einen Probe in die nächste zu vermeiden. Desinfektionsmittel für die Hände sind hier ausdrücklich verboten - was jetzt im krassen Widerspruch mit den gültigen COVID-19 Richtlinien steht...
Während ich da schon stundenlang herumzupfte, marschierte plötzlich der Verwalter des Gutsbetriebes samt Vorarbeiter auf. Die Winzerin sagte ich muss da jetzt hin - reden. Der Verwalter ist ja menschlich gesehen ein guter Kerl, aber muss jetzt natürlich alles abstreiten, da geht es um eine hohe Entschädigungssumme die der adelige Besitzer zahlen wird, für die der Verwalter den Kopf hinhalten muss und noch dazu für etwas, was einer seiner Arbeiter und nicht er selbst angerichtet hat. Die Krux mit der Hierarchie eben... erklärte sie mir noch.
Sie kehrte nach dem Gespräch etwas verschnupft zurück und sagte, die haben total abgeblockt, Nährstoffmangel, Trockenschäden, Frostschäden, Windrichtung stimmte nicht - was denen alles eingefallen ist... Aber halt alles kein Erklärungsmodell für nekrotische Verformungen an den Blättern.
Ihr eigentlicher Traum zu dieser ganzen Geschichte wäre, dass sie mit diesem Adeligen und dem Verwalter bei einem gemütlichen Glas Wein entspannt an einem Tisch sitzt und sich mit ihnen über Heckenpflanzungen und den Sinn von Pestiziden unterhalten darf.
Als sie dann kurze Zeit später einen Bienenschwarm auf einen ihrer Weinstöcke entdeckte wurde sie ganz selig und sagte: Ja, wir werden uns zusammensetzen und reden! Ich fand diese Phänomenologie so schön und passend - die Botschaft dieses offensichtlich "verbündeten" - immer wehrhaften - Matriarchats der Bienen.