Freimaurer

Am Hof «Morgarot» gibt es keine Güllenfässer und keine Melkmaschinen. Die Milch der Muttertiere wird nur für die Jungtiere verwendet. Milch ist ja auch nicht wirklich verträglich für erwachsene Menschen. Aber Käse schon, und so habe ich Marcel gefragt, ob er denn nicht daran interessiert wäre, Käse herzustellen. «Das gibt viel Arbeit», war seine Antwort. Marcel ist ein lustiger Bauer; ich glaube, er macht nur, was er gerne tut. Neben den Tieren liebt er das Arbeiten mit Holz, macht wunderschöne Holzzäune, baut einen fahrbaren Hühnerstall, schreinert einen Massivholztisch und repariert das Scheunendach. Aber obwohl er eben nicht zu jenen Bauern gehört, die sich von morgens bis abends abrackern, liebt er auch seine Maschinen. Sein Traktor ist nicht gerade das neueste Modell, dafür lässt er seine kleine Tochter manchmal damit fahren. Er hat auch keine Berührungsängste mit dem Rasenmäher, den er manchmal benützt, um das Unkraut zwischen den Beerensträuchern zu mähen. Auch da sitzt manchmal ein Kind drauf. Marcel ist auch der einzige Bauer, den ich kenne, der seine kleinste im Kinderwagen herumführt. Sein liebstes Gerät ist aber der Bagger. Damit gräbt er Amphibienteiche aus oder terrassiert ein Gelände für neue Anpflanzungen. Am allerliebsten baut er damit aber Trockensteinmauern. Das liebe ich auch, aber nicht mit dem Bagger, sondern von Hand.  So kam es, dass eines unserer ersten Kooperationsprojekte eine Trockensteinmauer war. Er setzte mit dem Bagger erst die unteren, grossen Steine, und ich dann von Hand die weiter oben und kleineren.

Ich bin ja der Nachbar vom Hof «Morgarot» und zu meinem Haus führt eine kleine Strasse mit einer sehr engen Kurve. Die sollte dringend mal etwas ausgebaut werden und so kam es dann kürzlich soweit, dass wir unsere Kooperationserfahrung an diesem Projekt einsetzten; er mit dem Bagger, ich von Hand. So ein Bagger ist ja kein Roboter, sondern reagiert auf die lenkende Hand des Menschen; der Baggerarm ist eigentlich der verlängerte Arm des Baggerführers. Und mit Marcel an den Schalthebeln wirkt dieses Gerät aus tonnenschwerem Stahl, welches einem wie nichts totschlagen könnte, unglaublich feinfühlig. Brocken für Brocken bricht der Baggerarm aus dem Felsen, grössere Stücke lädt die Schaufel auf den Anhänger, kleiner legt er mir sanft in die Hand, damit die Steine schon vorsortiert sind – es soll daraus eine Trockensteinmauer entstehen.



Die Trockensteinmauer ist ein altes Handwerk

Weltweit finden sich kunstvolle Anlagen; für den Anbau von Reis in Asien, von Wein im mediterranen Raum und Kartoffeln bei den Inkas. Trockensteinmauern vergrössern die nutzbare Fläche, speichern Wärme und regulieren den Wasserhaushalt. Ausserdem bieten sie wertvollen Lebensraum für wärmeliebende Tierarten. Wegen seinem grossen kulturellen und ökologischen Wert wurde der Trockenmauerbau in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.Ich habe von mir gar nicht gewusst, dass ich eine Einweihung in Trockensteinmauer habe. Heimlich und unbemerkt muss ich diese Meisterlehre irgendwie absolviert haben. Vielleicht wegen den unzähligen Back- und Hirtenöfen, die ich in unseren Kursen mit TeilnehmerInnen gebaut habe?
Die Menschen, die mir zuschauen, berichten jedenfalls, dass es so aussieht, als ob die Steine mir in die Hände fliegen würden. Das stimmt natürlich nicht, die Steine sind bei mir genau gleich schwer wie bei anderen. Aber kürzlich hat mir jemand erzählt, in der Trockensteinmauerszene heisse es, dass die Meisterschaft sich dadurch auszeichnet, dass die Steine mit einem sprechen würden: «Schau hier, ich, ich passe jetzt genau dort hinein, nimm mich». Stimmt eigentlich, wir begegnen diesem naturdialogischen Phänomen ja auch in unserer naturtherapeutischen Methode der Kreativtechniken.



Marcel hat auf jeden Fall Freude an meiner Trockensteinmauer gehabt – er fragte mich mit einem Schmunzeln, ob man mich engagieren könne. Das hat mich gefreut, habe ich doch die Prüfung durch den Permakulturbauer bestanden, ohne dass ich eine wirkliche fachliche Ausbildung bekommen habe. Ich bin auch nicht Mitglied einer geheimen Freimaurerloge, aber interessanterweise ist einer meiner Orixás* Xangô. Und so ist man ja beim Mauerbau nicht alleine, sondern in einer Kooperation mit anderen Meisterinnen, Gesellen, Lehrlingen, Orixás und eben auch den Steinen selbst, die «Kin» der Freimaurer.

 

* Namen für Naturkräfte aus afrikanischen spirituellen Traditionen