Fragen weit und weiter

Regnet es?
Was für ein Zufall: Ja, es regnet grad jetzt ganz stetig und fest, seit Stunden, das erste Mal seit langem wieder einmal. Der Sommer macht Pause.

Wo bist du?
Vor dem iPad in der guten trockenen Stube höre ich es von draussen rauschen und plätschern und lasse mir nun etwas Zeit dafür. Diese zweite Frage hebt die anonyme Schreibsituation auf (ich könnte mit dem iPad ja irgendwo sein), sie holt zurück ins Hier und Jetzt. Innehalten. Aha, da ist eine Stimmung, da ist mein Körper auf einer Bank, an einem Tisch, nicht sehr bequem, bis vorher aber abgelenkt durch Mail-News und App-Kontakte, dann noch weiter sitzen geblieben wegen dem Rest an morgendlichem Beerenmüesli und etwas Brennessel-Tee. 

Und schon ist da die nächste Frage, sie geht bereits tiefer, irritiert und macht nochmals neugierig durch ihre vordergründige Simpligkeit und den Wechsel vom Mobiliar rund um mich herum zum Geschehen in mir drin.

Was spricht dich an?
Nun also sind Wahrnehmen und Intimitäten gefragt, schon ist da die erste kurze Zensur: Was, wenn da etwas wäre, was nicht öffentlich gemacht werden sollte? Zum Beispiel diese wundervoll stetige Regen-Dusche draussen, warum ich nicht endlich drunter stehe sondern mich weiter im Trockenen mit dem mir sowas Vorstellen begnüge? Eigentlich müsste ich ja nackt nach draussen. Vielleicht wäre es ungewohnt, frisch, dann mit der Zeit wohl kühl. Würde ich stehen oder mich bewegen? Rennen? Waren die News und Mails doch eher Pflicht?  Oder ist es das Müesli, die selber gemachte Confi, die ich noch holen könnte um gemütlicher aus dem Trockenen nach draussen zu schauen? Muss ich mich jetzt damit auch noch befassen? Warum nicht einfach so wie immer? Nein, es wird noch intensiver, die Latte wird mit der nächsten Frage noch höher gelegt:

Was will sich erinnern?
Uff, ganz viel will sich erinnern, eine Bilder-Gefühls-Emotions-Überschwemmung droht, fast wie draussen wo die Schleusen immer noch voll offen sind: Erinnern an viele andere Situationen, draussen im Regen sein und nass werden, zumindest an und dann in den Schuhen, an den langsam anklebenden Hosenstössen aufwärts, abperlend auf der neuen Pellerine, mit Gischt unter dem Regenschirm, tief atmend, dieses Feuchte riechen und spüren, das Prasseln und Rauschen hören, dazu der klebrige Matsch unter den Schuhen, die glänzenden tropfenden Blätter, das Glucksen der Erde, die sich auflösenden Kuhpflätter in grossen Lachen, die tiefgründigen Löcher in den Weiden, innenfeuchte Plasticpellerinen, wie es doch langsam kühler den Rücken hinunter nass wird, kombiniert mit warmen Dunst von innen, wie sich die Orte vervielfachen (wo bist du?), der gekieste Weg von Bergün nach Stuls, die Kuhweiden im Seltenbach, die steile Wiese geschützt am Waldrand in der Metsch, der flächige, grüne, stille, weite beregnete Bodensee mit den kleinen runden Ringen am Ufer, den Strukturen und grauen und grünen Farben in der Weite, allein sein im Regen, oder gemeinsam von Schirm zu Schirm quatschen...

Was antwortest du?
Hallo!? Wer fragt? Bin ich gerufen worden? Wem oder worauf soll ich eine Antwort geben? Was habe ich nicht schon gesagt? Fragt jemand von weit weg? Will jemand etwas von mir? Hat die Natur eine Frage gestellt? Habe ich eine Frage überhört? Fragt überhaupt jemand oder geht es um eine Antwort auf die Botschaften, um das was jetzt grad neu aufgetaucht ist, um meine Erinnerungen, um meinen nun massiv veränderten Wahrnehmungszustand? Was passiert, wenn ich "danke" sage? Ist dann alles vorbei? Bitte nicht aufhören! Ist das realistisch? Bleib noch ein wenig! Was will ich dann noch? Alles hat ein Ende! Was ist, wenn der Regen vorbei ist? Beginnt dann alles von vorn, aber anders? Regnet es? Nein. Wo bist du? Weg gegangen. Was spricht dich an? Nichts besonderes. Was will sich erinnern? Nüt. Was antwortest du? Keine Ahnung. 

Foto:
Schweiz, Bühler, Hohe Buche: Blick in den Alpstein