Ich habe mir ein schönes Schreibplätzchen eingerichtet, vor dem Haus, das Atelier, B&B und mich beherbergt. Der Sonnenschirm – ich wollte ihn schon wegräumen für dieses Jahr – ist noch einmal weit geöffnet und ein Glas mit kühlem Minzwasser steht neben mir. Eben habe ich hier einen Mantelsaum mit der Hand genäht und meine Nachbarin von gegenüber saß vor ihrem Haus im Schatten und flocht einen Weidenkranz. Eine Gruppe von Frauen mit einem Stadtplan in der Hand hat sich in unser abgelegenes Altstadtviertel oben am „Berg“ der Altstadt gelustwandelt. Sie halten inne und beobachten unser Tun. Ich lächle sie an, sie lächeln zurück und gehen weiter. „Jetzt kommen sicher bald immer mehr Touristen hier rauf und besuchen das Kunsthandwerkerviertel,“ sagte ich zu meiner Nachbarin. Und sie, über 70, kichert wie ein Mädchen.
Der Sommer will sich offenbar mit einem Grande Finale verabschieden, bevor er die Bühne dem Herbst überlässt. Bei uns hier in Oberbayern war es ein immerhin mäßig regenreicher Sommer. Aber auf meinen Reisen der letzten Wochen habe ich erfahren und gesehen wie fiebrig unsere Erde ist. Mein Platz hier mag idyllisch sein, doch liegt über allem ein Schatten den eine große, bedrohliche Wolke voller Informationen, Bilder und Stimmungen. Sie nimmt offenbar so viel Raum ein, dass für die natürlichen Regenwolken kaum noch Platz bleibt. Gestern erst habe ich mich entschieden, den Anteil, den ich bisher in die Datencloud geschickt habe, demnächst auf eine Festplatte in meinem Haus zu verschieben. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber eine Erleichterung für mich.
Wenn ich in unserem Atelier auf die vielen Stoffballen in den Regalen blicke, sehe ich bunte Wolken aus denen unendlich viele Varianten von Farb-, Muster- und Formkombinationen auf mich herabregnen. Ich breite die Arme aus, lasse diese Inspirationen über den Kopf, die Schultern, die Arme in die Hände rieseln und mit diesen gebe ich dem Gewebe eine Gestalt. Es ist eine Fülle, eine Diversität, die so anregend ist, dass ich oft nicht weiß, womit beginnen. Fast heilig sind die Momente, wenn ein neues Werk entsteht, mit Sorgfalt zugeschnitten, gebügelt und geheftet, schließlich genäht wird und wir, meine Wertstoff-Couture-Partnerin und ich auf friedliche Weise verbunden sind in unserer liebevollen Hinwendung zum Werk, das unsere Hände schafft.
Oft sind wir still, fast lauschend auf die Geschichten, die die Stoffe, die Kaffeesäcke, die alten Knöpfe, Spitzen und Borten uns erzählen. Wir sind verbunden mit vielen Frauen und Männern, die das erschaffen haben, was wir weiterverarbeiten. Wir kennen sie nicht, aber es tauchen immer wieder starke Bilder aus anderen Welten, Ländern, Zeitenschichten auf, gerade wenn wir mit altem Leinen oder mit Jute arbeiten. Und am Ende und zugleich am Anfang ist es die ganz individuelle Gestalt, die aus dem Prozess hervorgeht. Eine Tracht, ein Kleid, ein Mantel, ein Du, dem wir einen Namen geben, das entlassen wird in die Welt, in der der Mensch, der es trägt, ihm seinen Körper und seine Bewegung gibt und in der es in diesem Zusammenspiel wie ein textiler Botschafter seinen Platz einnimmt.
Wie antwortest du?
Erinnern, nehmen, verbinden, verwandeln, benennen, befreien, geben.
Es ist alles schon da.
Foto:
Nähatelier, Stoffe aus Afrika