Ich wohne in einer Region, wo viel unternommen wird, um der vom Aussterben bedrohte Geburtshelferkröte einen erweiterten Lebensraum zu ermöglichen. Wegen dem besonderen glockenartigen Klang ihres Rufes heisst hier dieses Wesen im Volksmund Glögglifrosch. Das Vorhaben ist nicht einfach, denn der Glögglifrosch ist eine äusserst empfindliche Kreatur. Es überrascht deshalb, dass es sich hier um das älteste Lebewesen Europas handelt.
Vor 60 Millionen Jahren schlug in Mexiko ein gewaltiger Meteorit ein. In drei apokalyptischen Wellen brachte er Tod und Verderben über den ganzen Planeten. Erst raste ein kilometerhoher Tsunami um die Erde. Danach wurden die Wälder durch herunterprasselnde Himmelsgeschosse abgebrannt. Der aufgrund von Partikel in der Atmosphäre folgende «nukleare Winter» versetzte danach den Planeten über viele Jahre in Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Fast alles Leben wurde vernichtet, unter anderem die Dinosaurier. Auf dem europäischen Archipel überlebten dank dem schützenden Raum von Süsswassergewässern nur die Urahnen zweier heutiger Lebewesen; der Salamander und die Geburtshelferkröte.
Die ersten Europäer nach diesem Weltuntergang waren also äusserst gutmütige Wesen. Der scheue und empfindliche Salamander, und jene Kröte, wo das Männchen die Eier des Laichs herumträgt. Und das waren dann auch die späteren Lebewesen, die den Kontinent nach der damals wohltuenden Klimaerwärmung durch den hohen CO2 Gehalt der Atmosphäre wiederzubeleben begannen. Allen voran das grossartige vegane Mammut und dann vor 230'000 Jahren die ersten menschlichen Europäer, die Neandertaler, die sich nachweislich um ihre Behinderten sorgten.
Leider sind diese vor 40'000 Jahren ausgestorben, als die ersten Sapiens aus dem Süden in Europa eindrangen. Die heute möglichen genetischen Analysen zeigen, dass in den hybriden Nachkommen dieses Zusammentreffens primär weibliche Neandertaler-Gene zu finden sind, was die Vermutung zulässt, dass die Männer von den wohl aggressiveren Sapiens umgebracht und die Weibchen unterworfen wurden. Dasselbe Schicksal wiederholte sich dann auch unter den Europa-Hybriden. Die vor zwischen 6300 und 4800 Jahren in drei Wellen einfallenden Kurgan-Horden aus dem Osten reduzierten das gutmütige Neandertaler-Gen in uns Europäer:innen endgültig auf ein paar wenige Prozente.
Diese Prozente gilt es zu hegen und zu pflegen wie den Glögglifrosch, um in und um uns den Zauber des Lebendigen und die Kraft der Zuversicht wachzurufen, wie Habiba Kreszmeier im newsletter schreibt.
Quellen
zu Geburtshelferkröte, Neandertaler, Europa, Archipel, Geschichte:
Tim Flannery, Europa, Die ersten 100 Millionen Jahre, Suhrkamp Insel
zu Neandertaler, Homo Sapiens, Kurgan-Wellen:
Kai Michel u. Carl van Scheik, Die Wahrheit über Eva, Rowohlt Verlag
zu Archiv der Zuversicht, Natur-Dialog:
Astrid Habiba Kreszmeier, Natur-Dialoge, Carl-Auer Verlag