«Verbindung-Haben» gehört zu den Grundsicherungen des menschlichen Daseins. Heutzutage geht es ja gern in erster Linie um die gute WLAN- oder Bluetooth Verbindung. Die Notwendigkeit von konkretem Zusammensein mit Menschen haben uns die teilweisen «Kontaktverbote» in Coronazeiten spürbar verdeutlicht. Beziehung, Familie, Zusammensein, Gemeinschaft, Freunde, Liebe sind alles Worte, die vom lebendigen Verbundensein unter Menschen sprechen. Ein paar Jahrtausende zurück war die Beziehung mit der Natur dieser menschlichen Beziehung gleichgestellt; zumindest stelle ich mir das immer so vor: Mal hat man den Nachbarn um Rat gefragt, für manches die Ältesten der Sippe und einige Themen wurden – im natürlichen Dialog sozusagen - mit dem Baum, dem Wind oder nur nach einer Waschung im Fluss ausgetauscht. Das ist jetzt freilich sehr kurz gegriffen und ein wenig plakativ auch, Hans-Peter Hufenus erzählt in seinem Buch «Urmensch – Feuer – Kochen»[1] vertiefter aus diesen Epochen des Menschseins. Gesichert ist aber, dass es irgendwann im Laufe der Zeiten eine Trennung zwischen Menschen und Naturraum gab, die bis heute anhält: Wir Menschen hier und dort draussen die Natur. Die Digitalisierung greift nun auch die Beziehung unter den Menschen an, aber das soll hier nicht Thema sein.
Die Systemische Naturtherapie und Beratung bietet seit fast 20 Jahren Arbeitsformen, unsere menschlichen Fragen, Themen, Suchen wieder in einen lebendigen Dialog mit dem Naturraum zu bringen. Dabei kann dem Wunsch nach Naturverbundenheit an sich nachgegangen werden, aber eben auch Beziehungsfragen unter uns Menschen und mit sich selbst. Die Wiederentdeckung dessen, dass wir eigentlich Wesen sind die aus den gleichen Elementen bestehen wie unsere Umgebung, «Erdlinge» im wahrsten Sinne des Wortes, und die damit verbundene Möglichkeit des Dialoges in einer Mitwelt, sind häufige Erkenntnisse die sich aus naturtherapeutischen Prozessen ergeben.
Leider geht das Gefühl dieser Verbundenheit jedoch auch oft schnell verloren. Kaum geht ein Seminar zu Ende fragen Teilnehmende «Wie sie diese Arbeitsweise in ihre professionellen Angebote integrieren sollen?» Die Trennung zwischen Seminar- und Alltagswelt, zwischen Naturraum und Menschenraum bleibt oder kehrt schneller wieder ein, als erwünscht. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn ringsum mit einer Haltung gedacht, gehandelt, gebildet und therapiert wird, die uns Menschen in den Mittelpunkt stellt. Mit dem systemischen Ansatz hat sich seit den 1980er Jahren das Bewusstsein entwickelt, dass Klient*innen mit ihren Fragen in einen menschlichen Systemkontext gestellt sind und in eine Zeitachse, in der auch die generative Erinnerung einfliesst. Ein Einfluss des unmittelbar umgebenden Naturraums, der Landschaft oder einzelner Elemente wurde aber bestenfalls metaphorisch aufgegriffen. So gerät man als Beraterin oder Sozialpädagogin, die dieser Beziehung gleichrangig Wert gibt, schnell in den Verdacht, fachlich unseriös zu sein. Wohl auch deshalb verlagern Absolvent*innen unserer Lehrgänge diese Aktivitäten ihrer professionellen Identität in selbständige Gefässe oder implementieren diese Arbeitsweisen ohne viel darüber zu sprechen.
Nach vielen Jahren Erfahrungen in diesem Feld und praktischer, sinnlicher Bestätigung des unermüdlichen Forschens hat Astrid Habiba Kreszmeier gemeinsam mit einem Kreis von Fachleuten das Konzept nun weiterentwickelt bzw. neu beschrieben. «Natur-Dialoge»[2] heisst das Buch, in dem sie einen «Sympoietischen Ansatz» entwirft. Im Vorschautext des Verlages heisst es: «Habiba Kreszmeier fordert eine Rückbesinnung des systemischen Denkens und Wahrnehmens auf seine Wurzeln. Einer der zentralen Begriffe dafür ist Kontext: Systeme und deren Umwelten bilden die Einheiten, auf die es ankommt. Dieses Buch führt in den gedanklichen und erlebensbezogenen Neubeginn behutsam ein und zeigt dessen bedeutende Folgen anhand vieler praktischer Erfahrungen und eindrücklicher Beispiele.» Es wird also zweierlei Bedeutsames aufgezeigt und fachlich begründet: dass sich lebende Systeme nicht aus sich selbst heraus organisieren (Autopoiese) oder entwickeln, sondern nur in konkreter Verbundenheit und im Dialog mit ihrer Mitwelt und dass diese Mitwelt menschlich sowie mehr-als-menschlich ist.
Was hat das nun alles mit Berufspolitik zu tun?
Aus meiner Perspektive sehr viel, denn dieses Buch zeigt eine Möglichkeit der Auflösung dieser Weltentrennung: Solide Sozialpädagogik, Beratung und Psychotherapie auf der einen Seite, die Natur auf der anderen. Es befürwortet den Einbezug wirksamer, naturraumverbundener Arbeitsweisen in die anerkannten Gefässe. Durch die gelungene Versprachlichung von Erfahrungen und mit den breit vernetzten theoretischen Bezügen bietet es auch Orientierung für eigenes Öffentlichwerden und Selbstbewusstsein im beraterischen Handeln. Und ein kleiner Aufruf schwingt mit: für ein aktives Einstehen für Methoden, die den Menschen, auch und vor allem, in seiner Beziehung mit dem umgebenden Naturraum wahrnehmen. Dies ist aus meiner Sicht ein wichtiger Beitrag zur berufspolitischen Landschaft in der Beratung, zur Vielfalt die gern gefordert und unterstützt wird und uns doch mehr und mehr abhanden zu kommen scheint.
Nicht selten wird professionelle Pluralität auch durch Reglementierungen in der Aus- und Weiterbildung und der Anerkennung von Zertifikaten und Lernwegen unterbunden. Ich möchte nicht allen Anstrengungen widersprechen die bildungspolitisch unternommen werden, denn sie geschehen mehrheitlich mit dem Fokus auf Qualität und der Nachvollziehbarkeit für die Teilnehmenden. Aber leider schliesst Qualitätsnormierung auch aus, schränkt Vielfalt ein, fördert tendenziell die grösseren Systeme und sorgt dafür, dass Alternativen um Anerkennung ringen müssen. Das Wort «Eidgenössisches Diplom» klingt nach genau dieser geordneten, schweizerischen Qualität, aber auch jenem Anspruch an Alleingültigkeit. Das Diplom hat sich aus den «Meisterprüfungen» heraus entwickelt und es erlangt, wer eine eidgenössische höhere Fachprüfung (HFP) erfolgreich ablegt. Diese Prüfungen werden von den jeweiligen Berufsverbänden schweizweit einheitlich durchgeführt. Soviel zur Reglementierung.
Aber, und nun kommt der erfreulich offene Teil: «Zur Vorbereitung auf die eidgenössischen höheren Fachprüfungen werden berufsbegleitende Kurse angeboten. Der Besuch dieser Kurse ist freiwillig. Sie ermöglichen den Teilnehmenden, sich den eigenen Bedürfnissen und Lebensumständen entsprechend auf die Prüfungen vorzubereiten. Die vorbereitenden Kurse werden von kantonalen Bildungsinstitutionen, Bildungszentren, von Berufsverbänden oder privaten Bildungsanbietern durchgeführt. Sie sind staatlich nicht reglementiert und unterstehen keiner staatlichen Aufsicht.»[3] Die beiden Berufsverbände im Beratungsbereich haben ein Set an Kompetenzen formuliert, die jemand mitbringen muss, wenn man diese Höhere Fachprüfung bestehen möchte, sie schreiben aber nicht vor, mit welcher Methodik, auf welchem theoretischen Fundament oder mit welchen Ansätzen beraten werden sollte. Hier zeigt sich die Pluralitätsverpflichtung der schweizerischen Politik ebenso wie das durchlässige Wegenetz des Bildungssystems. Und es gibt ein weiteres Plus: Alle individuell anfallenden Kosten für Vorbereitungskurse werden vom Bund zu 50% subventioniert. Wer also zu einer so genannten HFP antritt, erhält nach Einreichung der entsprechenden Nachweise die Hälfte der Kurskosten direkt auf das private Konto ausbezahlt (Höchstbetrag Kurskosten 21'000 CHF). Unabhängig vom Prüfungsergebnis. ;-)
Uns freut das nicht nur, sondern wir sind auch aktiv geworden: Seit Anfang 2021 ist nature&healing in der Liste der Vorbereitungskurse für folgende Höhere Fachprüfungen geführt:
Im breit aufgestellten und erfahrenen Lehrteam begleiten wir Teilnehmende gern auf einem dieser Lernwege zu einer HFP: Unsere Lehrgänge bieten hier vor allem Grundlagen zu Haltung, Methoden und Sprachführung, in begleitender Beratung und Supervision bereiten sich die Teilnehmenden dann ganz auf Bedürfnisse und Kompetenzen abgestimmt auf die Prüfung vor. Auch das Bündeln und reflektieren von Erfahrungen und Kompetenzen aus vorangegangenen Berufsausbildungen und Weiterbildungen sind in das Konzept integriert. So können beispielsweise Absolvent*innen von früheren Lehrgängen in Krpg oder SNT ihre bereits erlernten Beratungskompetenzen professionalisieren und mit einem anerkannten Berufstitel aufwerten. Nähere Infos zu diesem Angebot finden sich in der Webseite[4].
Ein solcher Schritt schärft das eigene Profil, schult in der Beratungspraxis sowie der Begründung des eigenen Handelns. Er ermöglicht ebenso die Mitgliedschaft in den Berufsverbänden für Beratung, bso und SGfB, und öffnet Türen für Aufträge in grösseren Bildungsinstitutionen aber auch für die eigene Praxis. Neben dem individuellen Vorteil ist es auch ein berufspolitischer Beitrag: Wenn Beratungspersonen die nach dem Natur-Dialog Ansatz arbeiten in diesem Prüfungssystem bestehen, dient das auch der Weltenverbindung zwischen Etabliertem und Alternativem, zwischen Menschräumen und Naturräumen und unterstützt damit lebendige Verbundenheit.
[1] Hans-Peter Hufenus (2021): Urmensch – Feuer – Kochen. AT-Verlag.
[2] A.H. Kreszmeier (2021): Natur-Dialoge. Der sympoietische Ansatz in Therapie, Beratung und Pädagogik. Carl Auer, Heidelberg.
[3]https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/hbb/eidgenoessische-pruefungen.html (29.6.2021)
[4]https://www.nature-and-healing.ch/lehrgaenge/vorbereitung-hfp-beratung/ (29.6.21)