Der unendliche April-Frühsommer überstrahlt(e) alles. Kinder werden wohl die endlos langen Zuhause-Ferien in Erinnerung behalten. Viele wie nie habe ich mit ihren Vätern oder Müttern im Wald, im Gebüsch, beim Feuer machen oder Velofahren auf schmalen Trecks durchs Gebüsch angetroffen. In Wohnquartieren sehe ich sie auf der Strasse spielen, in kurzen Hosen, TShirts. Auch ich geniesse die Sonne, nicht zu heiss, einfach super, auch weil weniger Autos unterwegs sind. Aber ich muss davon ausgehen, dass viele Kinder und Erwachsene nicht draussen sind und die vielleicht schrecklichste Zeit erleben.
Über diese draussen so unbeschwerte himmelblaugrüne Welt donnert weiterhin zweimal der Heli der Grenzpolizei und auf dem Grenzweg ins Tägermoos zum idyllischen Seerhein patrouillieren Gruppen von mobilisierten Schweizer Soldaten im Aktivdienst. Sie sollen die rund 400 deutschen Schrebergärtner von ihren verwilderten Gärten vor der Stadt Konstanz fernhalten und neuerdings illegale Grenzübertritte von getrennten Partner ohne Trauschein aus beiden Ländern verhindern. Würde mir oder dem Virus etwas fehlen, wenn Soldaten und Helis eines Tages nicht mehr da wären?
Und da ist weiterhin dieses merkwürdige Gefühl: Sind unsere Hirne womöglich häufiger Covid-infiziert als die Lungen? Immer wieder höre ich offen oder verdeckt ausgesprochene Ängste. Das mögliche Ersticken scheint besonders zur Erstarrung zu führen und rechtfertigt weiterhin jede Massnahme. Ich habe Freunde, die seit 6 Wochen noch nie draussen waren und andere, mit denen der Kontakt wegen Differenzen zu Corona ziemlich eingefroren ist. Da ist "Lockerung" sicher dringend angesagt. Vielleicht hilft es schon, dass wir nun die Haare wieder schneiden können?
Mit der "Lockerung" geht die Aufmerksamkeit nun zunehmend nach vorne. Die Corona-Festtage dauern schon lange. Es entsteht zunehmend wieder ein Zeitgefühl, nachdem wir lange im situativen Modus gehandelt und gedacht haben. Wir stellen uns vor, wie es ist, wenn wir weiterhin vorsichtig sein oder mit Masken herum laufen müssen. Auch dieses Tagebuch wächst mit der Zeit. Wir können nun bereits zurückschauen auf die Zeit, wo alles begonnen hat.
"Lockerung" tönt nach Sportübung oder nach Aufstehen nach langem Sitzen. Andere Länder sprechen vom Wechsel des Levels, von neuen Konditionen. Interessant zu sehen, wie unterschiedlich vorgegangen wird je nach Regionen und Ländern. Die Deutschen öffnen zuerst die Schulen für die Älteren, die Schweizer für kleinere Kinder. Neuseeland oder Italien sperren weiterhin noch den Coiffeur, also alle Gewerbe mit nahen Kontakten. Wir dagegen dürfen ohne Masken in den ÖV und in die Massage. Das alles spricht nicht für eine baldige europäische Lösung mit offenen Grenzen. Es könnte also dauern, auch wenn die Touristiker Druck machen. Meine Welt nach Norden endet weiterhin fünf Minuten vor der Haustüre.
Der unendliche zeitlose Frühsommer soll nun gemäss Meteo Schweiz zu Ende sein. Vielleicht bringen Regen und Wolken weitere nötige Erfrischungen für die "neue Normalität", wie die Medien die nun kommende Zeit nennen? Erwachen wir in einer neuen Welt mit technologischer Überwachung, Masken, Fiebermessungen, blitzartig geschütteten Milliarden, bankrotten Unternehmen und Staaten, gratis Heizöl und Benzin, kontaktlosen Twint-Zahlungen, Distance-Learning, Distanz-Kontakten...? Wird nun alles ganz anders oder geht es bald wieder weiter, wie wenn nichts gewesen wäre? Sind wir nachher wieder die alten oder hat das Virus bei uns allen etwas verändert? Ich würde heute schon gerne wissen, wie wir in fünf Jahren auf diese Zeit zurückschauen und in welcher Welt wir dann leben werden.